Das scharfe S – und mehr
- Lea Grossmann
- vor 5 Tagen
- 2 Min. Lesezeit
Neulich in meinem Posteingang: Eine E-Mail von einem Schweizer aus Zürich. Inhalt banal, Sprache geschliffen. Und mittendrin das ß. Stolz wie ein Pickel auf der Stirn, die besser geschminkt worden wäre.
Woher kommt dieser Unsinn? Danke, KI. Seit der Siegeszug von ChatGPT & Co. unsere Textproduktion infiltriert hat, greift auch das ß um sich. Ein Phänomen, das früher höchstens in feuchten Träumen deutscher Orthographie-Nostalgiker vorkam, ist heute Standard in Schweizer Newslettern, Instagram-Captions und LinkedIn-Posts.
Dabei gäbe es eine einfache Methode, keine Blösse zu zeigen: Nach dem Kopieren und Einfügen Hirn einschalten und den Text nochmals durchlesen. Eine Empfehlung, die eigentlich für alles Geschriebene gilt. Oder für Fortgeschrittene: Ctrl + F, „ß“ durch „ss“ ersetzen. Geht schnell. Tut nicht weh. Und rettet den letzten Rest sprachlicher Selbstachtung.
Wer genauer hinschaut, entdeckt den nächsten Verdächtigen aus der KI-Küche: den Gedankenstrich. Das neue Modezeichen der digitalen Schreibeweise. Was früher ein stilistischer Akzent war, ist heute Allzweckwaffe. Der Gedankenstrich trennt, was nicht zusammengehört. Verbindet, was keinen Sinn ergibt. Und steht da, wo früher einmal Überlegung, Rhythmus oder ein anderes Satzzeichen stand. Er ist für alle, die Kommas nicht mögen, keine Pointe haben oder gerne vage andeuten, ohne etwas zu sagen. Quasi die Pünktchen, Pünktchen, Pünktchen mit Hochschulabschluss.
Wir Schweizer brauchen das ß nicht. Haben wir nie gebraucht und wollen es auch nicht. Und beim Gedankenstrich wäre Mässigung kein Fehler.
Mein Tipp: Wer wissen will, ob ein Text von einem Menschen stammt oder von der Maschine, braucht keine forensische Analyse. Zwei Spuren reichen: ß und inflationär verwendete Gedankenstriche. Wer beides findet, kann ziemlich sicher sein: Hier hat jemand nicht gedacht, sondern generieren lassen.
Kolumne vom 10. Juli 2025 im General Anzeiger Brugg sowie in der Rundschau Süd und Nord.

Das scharfe S
Ihre Kolumne vom 10. Juli in der Rundschau zum Buchstaben ß übersieht folgendes:
Bis in die 1940Jahre haben Kantone in der Schweiz diesen Buchstaben verwendet.
Zeitungen wie die NZZ ersetzte das ß mit ss erst 1974.
Offiziell wurde das ß im amtlichen Schriftverkehr mit der Rechtschreibeform von 2006 abgeschafft, obwohl die Verwendung seit dann sinnvoller geregelt wäre.
Schweizer Buchverlage wie Diogenes, Rotpunktverlag oder Kampa verwenden nach wie vor das ß, da das grössere Lesepublikum in Deutschland und Österreich über Worte wie Masse oder Busse stolpern würden, da nicht kenntlich gemacht wird, ob es sich um eine Masse handelt oder die Maße oder mehrere Autobusse oder eine Polizei-Buße.
Zudem kommunizieren Institutionen in der Kultur- und Medienbranchen in allen drei Ländern ganz…